„ICH HOFFE AUF WELTWEITE SOLIDARITÄT“

Corona-Krise in Mosambik

Erst Zyklon Idai, dann Zyklon Kenneth und nun COVID

Die Corona-Pandemie breitet sich immer mehr auf die ärmsten Regionen der Welt aus. In Mosambik befürchtet man einen massiven Ausbruch von Covid-19. Das hätte für das ohnehin schlecht aufgestellte Gesundheitssystem des südostafrikanischen Landes gravierende Folgen. Zumindest vorerst sind die Fallzahlen noch überschaubar. Eine massive Ausbreitung würde die knapp 30 Millionen Einwohner von Mosambik schwer treffen.

Nach der Umsetzung der Hilfsmaßnahmen zur Linderung der Auswirkungen des Idai-Zyklons im April 2019 litt Mosambik unter den Folgen einer weiteren Naturkatastrophe, dem Kenneth-Zyklon. Diese neue Katastrophe hat die Lage im Land weiter verschlechtert. Es gibt kaum Vorräte und landwirtschaftlicher Materialien wie Saatgut und Pflanzwerkzeuge. Dadurch sind die Menschen nicht in der Lage, den Lebensunterhalt ihrer Familien zu sichern. Sie greifen auf andere Strategien zurück, etwa den Einsatz der Arbeitskräfte ihrer Familien. Mädchen brechen die Schule ab, um zu arbeiten oder werden verheiratet.

Im aktuellen LandsAid-Projekt werden in verschiedenen Distrikten der Provinz Sofala landwirtschaftliche Betriebsmittel an weibliche Haushaltsvorstände verteilt. Zusätzlich werden Schulmaterial und Hygieneartikel verteilt. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf zwei Aspekten: die unzureichende Nahrungsmittelversorgung in Familien mit weiblichen Haushaltsvorständen, die von der familiären Landwirtschaft abhängen sowie die Zunahme von weiblichen Schulabbrechern und die steigende Anzahl der Frühehen.

Unsere Fragen, in wie fern die Corona-Krise unsere Projekte gefährdet, beantwortet Heike Friedhoff. Sie ist Projektmanagerin der Gruppe GMPIS (Grupo de Mulheres de Partilha de Ideias de Sofala), ein Netzwerk von Frauenbasisorganisationen aus der Provinz Sofala. Das Netzwerk kooperiert mit der LandsAid-Partnerorganisation ADS (Accao para Desenvolvimento Social):

Führt Covid-19 in Ihrem Land zu großen Veränderungen in der humanitären Hilfe?
HF: Ja. In Mosambik herrscht seit Anfang April der Ausnahmezustand, der einige Einschränkungen, auch für die Umsetzung von humanitärer Hilfe, mit sich bringt. Die Übergabe von Hilfsprodukten musste zeitweise ausgesetzt werden und wird nun unter verstärkten hygienischen Sicherheitsmaßnahmen durchgeführt – etwa das Tragen von Masken, Begrenzung der Gruppengrößen, Handdesinfektion, Aufklärungsarbeit.

Welche Herausforderungen bringt die Corona-Krise für Sie mit sich?
HF: Viele der Zielgruppenmitglieder gehören zu Risikogruppe, also ältere Personen, HIV Infizierte oder chronisch Kranke. Sie müssen daher aufgeklärt und so gut wie möglich geschützt werden. Auch die Aktivistinnen des Netzwerkes müssen strikte Hygienebedingungen einhalten, um sich nicht zu infizieren.

Sind Ihre Projekte von der Corona-Krise betroffen?
HF: Unsere Partnerschaft mit LandAid war fast nicht betroffen, da wir die Verteilung der Produkte schon vor dem Ausruf des Notstandes fast vollständig umgesetzt hatten. In anderen Projekten mussten wir vor allem Treffen und Fortbildungen verschieben und auf einen neuen noch unbekannten Termin verschieben. In einigen Projekten war es möglich, die Aktivitäten anzupassen. Die Aktivistinnen nähen und verteilen nun zum Beispiel Schutzmasken und produzieren Radiosendungen zur Aufklärung über Corona und die Auswirkungen der Pandemie auf die Frauen.

Welche Ziele oder Sektoren Ihrer Arbeit sind aufgrund der Pandemie am meisten gefährdet und warum?
HF: Alle Ziele und Sektoren, die mit Fortbildungen und Präsenzveranstaltungen zu tun haben – aufgrund von Social Distancing.

Was sind Ihre größten Sorgen im Moment?
Über Zentralmosambik fegte vor gut einem Jahr der schwerste Zyklon in der Geschichte des Landes hinweg. Bis heute haben sich viele Menschen weder körperlich noch psychisch richtig von der Katastrophe erholt. Nun sind sie mit Covid-19 einer neuen „Katastrophe“ ausgesetzt. Die öffentliche Gesundheitsversorgung in Mosambik, vor allem außerhalb der Hauptstadt, ist sehr schlecht. Wenn es zu vielen Krankheitsfällen kommen sollte, wird das System kollabieren und viele Menschen werden sterben. Auch sind viele Falschmeldungen im Umlauf, die die Leute glauben und sie davon abhalten, sich entsprechend gegen Corona zu schützen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise für die Gesellschaft?
HF: Eine schon spürbare Auswirkung ist die wirtschaftliche Situation – vor allem im informellen Sektor, wo sehr viele Frauen arbeiten. Die Rollenverteilung aufgrund von Genderzuschreibungen wird sich wieder stärker zu Lasten der Frauen bewegen, zum Beispiel Home Office mit Kindern, Haushalt und pflegebedürftigen Personen Zuhause. Die Zahl von Fällen häuslicher Gewalt wird steigen. Es ist ein erneuter Anstieg von Frühehen zu befürchten. Kinder aus armen Familien können an der Fernschule nicht teilnehmen, da die Eltern kein Geld für Fotokopien und Materialien haben.

Ist Ihre Organisation aufgrund der aktuellen Situation gefährdet?
HF: Nein, wir sind ein nicht institutionalisiertes Netzwerk und die Aktivistinnen hängen nicht finanziell vom Netzwerk ab. Die Umsetzung unserer Aktivitäten ist aber gefährdet bzw. eingeschränkt und musste angepasst werden.

Was fürchten Sie am meisten: das Virus selbst oder die Einschränkungen der Behörden, die wirtschaftliche Auswirkungen haben könnten?
HF: In Mosambik sterben jährlich tausende Menschen an Malaria, Cholera, Unterernährung und Armut. Das Corona-Virus ist eine weitere Gefahr, die hinzukommt. Viel schlimmer sind aber die wirtschaftlichen Einschränkungen, die es vielen Menschen nicht erlauben, ihre tägliche Nahrung und die ihrer Familie zu garantieren.

Gibt es auch positive Aspekte der aktuellen Situation – für Sie persönlich, Ihre Organisation oder als Chancen für die Gesellschaft?
HF: Für mich persönlich, kann ich sagen: Das Leben hat sich „entschleunigt“. Ich denke ernsthaft darüber nach, welcher Stress im Leben wirklich notwendig ist und welchen man zukünftig vermeiden sollte. Die Krise ist eine Chance zum Umdenken, sei es ökologisch, aber auch generell. Es zeigt sich, wie wenig nachhaltig unser Lebensstil ist.

Für unser Frauennetzwerk GMPIS ist es vor allem eine Chance, solidarisch mit Risikogruppen und den Gefährdeten in der Gesellschaft zu sein und Aufklärungsarbeit zu leisten.

Wenn wir schon vorher von dem Virus gewusst hätten: Gibt es Maßnahmen, die Sie ergriffen hatten, um vorbereitet zu sein?
HF: In Mosambik wurde zum Glück sehr früh reagiert und bisher gibt es etwas über 100 Fälle und keinen Todesfall. Als Netzwerk hätten wir vielleicht schon etwas eher mit den Radioprogrammen und der Maskenproduktion beginnen können.

Was hilft Ihnen in diesen Zeiten am meisten?
HF: Die Zeit mit der Familie.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?
Mein Wunsch ist, dass wir Menschen nach der Krise nicht wieder gleich zur Tagesordnung übergehen. Wenn wir es nicht schaffen, unser Konsumverhalten zu drosseln und ernsthaft beginnen, die Klimaziele umzusetzen, ist die nächste Katastrophe vorprogrammiert. Auch ich persönlich hoffe, mein eigenes Konsumverhalten zu überdenken und noch mehr zu tun, um meinen „Footprint“ zu verringern.
Außerdem hoffe ich auf weltweite Solidarität und eine differenziertere Berichterstattung über Afrika, nicht nur jetzt, sondern auch nach Corona.

Mit welchen anderen Problemen sehen Sie sich im Moment neben der Covid-19-Pandemie konfrontiert?
HF: Ich persönlich bin von keinen weiteren Problemen betroffen. Aber wie oben schon erwähnt, kämpfen die Menschen in Zentralmosambik seit dem Zyklon IDAI mit dem Überleben, abgesehen von politischen Unruhen, die die Region erschüttern.

Möchten Sie noch etwas hinzufügen?
HF: Ich bin Deutsche, finanziell abgesichert, gesund und gehöre damit zu den wenigen Privilegierten dieser Welt. Die Situation meiner mosambikanischen Mitstreiterinnen ist sehr viel schlechter und trotzdem schaffen wir es, zusammen solidarisch zu sein und vor allem den Frauen zu helfen, die unsere Unterstützung benötigen.

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